Es wird nun ernst für die Natur in den Ötztaler Alpen: die Abteilung für Umweltschutz der Tiroler Landesregierung hat alle Unterlagen des Jahrhundert-Vorhabens „Skigebietszusammenschluss Pitztal – Ötztal“ offengelegt. Sechs Wochen standen den Naturschutzverbänden zur Verfügung um rund 7.000 Seiten an Gutachten und Plänen zu prüfen. In den Fachgutachten zeichnet sich die Tendenz ab, dass das Vorhaben als naturverträglich eingestuft werden könnte. Deutscher und Österreichischer Alpenverein haben die Kräfte gebündelt und am 1. Juli 2019 eine unmissverständliche Stellungnahme abgegeben. Das erklärte Ziel in dieser Sache: ein Stopp des Bauvorhabens.
Trotz höchster Unsicherheiten aufgrund von Klimawandel, Gletscherrückgang und stagnierenden Skifahrerzahlen, wird der Verlust eines wertvollen alpinen Naturraums von Seilbahnbetreibern und Touristikern in Kauf genommen. Negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Sommertourismus im Tal werden in den Fachgutachten teilweise großzügig ausgeblendet. Die alpinen Vereine setzen sich entschieden gegen den weiteren Verlust (hoch-)alpiner Geländekammern im Allgemeinen und in diesem Verfahren im Besonderen ein.
Totalverlust eines Naturraums droht
Im Gebiet um den Linken Fernerkogel und die Braunschweiger Hütte droht eine „größte anzunehmende Erschließung“ – ein Super-GAU für die alpine Natur und Landschaft. Drei große Gondelbahnen mit insgesamt fünf Sektionen sollen von Mittelberg aus die Gletscherflächen von Mittelberg-, Karles- und Hangender Ferner, sowie den Linken Fernerkogel (3.277 m) erschließen, dafür ein futuristisches Seilbahnzentrum und 64 ha Pisten angelegt werden. Gletschervorfelder werden für Pisten und Seilbahnstationen eingeebnet und großflächig aufgeschüttet, ein Teilgipfel des Linken Fernerkogels wird um 30 Meter abgetragen (180.000 m³), um Platz für die Seilbahnstation zu schaffen, Gletschereis wird für den Pistenbau teilweise abgetragen und überschüttet.
Das Vorhaben wird einen naturnahen und hochalpinen Landschaftsraum auf einen Schlag komplett technisch überformen. Ein Lebensraum für alpine Flora und Fauna ist massiv bedroht, eine charakteristische alpine Hochgebirgslandschaft würde dauerhaft zerstört werden und ein wichtiges Tourengebiet verlorengehen – der Totalverlust eines wertvollen Naturraumes droht.
Stützpunkt Braunschweiger Hütte in Gefahr
Noch ist die Braunschweiger Hütte des DAV ein wichtiger Touren- und Ausbildungsstützpunkt in der Region. Auch sie ist in Gefahr: Direkt unterhalb der Hütte sollen Fahrwege und Fundamente in den Fels gesprengt werden, im großen Stil Baustellenfahrzeuge und LKW gefahren werden und bis zu 40 Mal am Tag Transporthubschrauberflüge über die Hüttenterrasse stattfinden – und das über sechs Sommersaisonen hinweg. Von dauerhaften Sperrungen der Wanderwege ist auszugehen.
Nach Abschluss der Bauarbeiten werden in nur 300 m Luftlinie von der Hütte entfernt die Gondeln (von der Terrasse aus hörbar) über eine 60 m hohe Seilbahnstütze rattern, der Hochtouren-Hausberg Linker Fernerkogel wird mit weiteren Gondelbahnen und präparierten Pisten ausgestattet sein.
Pläne auf schwindendem Eis
Bereits während der Genehmigungsphase sind die Betreiber mit sich ständig ändernden Bedingungen konfrontiert. Jedes Jahr ziehen sich die Gletscher im Gebiet um bis zu 50 Meter zurück. Bis Mitte des Jahrhunderts wird mindestens die Hälfte der Gletscherfläche verschwunden sein, im Worst-Case-Szenario wäre sie sogar fast ganz verschwunden. Doch genau auf diese Eisflächen sind die Betreiber angewiesen. Die bisherigen Planungen, bei denen Liftanlagen, Gebäude und Skipisten auf Gletscherflächen vorgesehen sind, werden bereits nach wenigen Jahren hinfällig sein. Und ob sich mit dem Rückzug der Gletscher das Skigebiet noch wirtschaftlich betreiben lässt, ist völlig offen. Wie in keinem anderen Vorhaben bisher wird hier mit der Natur im höchsten Maße spekuliert.
Wirtschaftlicher Nutzen für Talbevölkerung fraglich
Trotzdem setzen die Betreiber auf diesen unsicheren Weg und spekulieren mit der touristischen Entwicklung der Talschaften. Das Gebiet um den Fernerkogel ist ungemein wichtig für den Sommertourismus und für eine langfristig nachhaltige Entwicklung der Region. Neben Tageswandertouren läuft der wohl bekannteste Fernwanderweg E5 durch das Pitztal via Braunschweiger Hütte ins Ötztal. Diese sogenannte „Königsetappe“ befindet sich in Zukunft in einer Großbaustelle bzw. in einem Skigebiet. Gut 50% der E5-Aspiranten übernachten jedoch nicht auf der Braunschweiger Hütte, sondern in Hotels im Tal und generieren Nächtigungen im Sommer. Durch die Erschließung könnten diese wichtigen Gäste in Zukunft im Sommer ausbleiben.
Was genau steht auf dem Spiel? Kurz erklärt von Tobi und Franz vor Ort…
Pitztaler-Gletscher-Live-2019 from Deutscher Alpenverein on Vimeo.
Wie geht es weiter?
Die Stellungnahmen der anerkannten Naturschutzverbände und der Landesumweltanwaltschaft sind am 1. Juli 2019 beim Amt der Tiroler Landesregierung eingegangen. Nach Prüfung der Unterlagen wird die Abteilung Umweltschutz der Tiroler Landesregierung im September 2019 die Einschätzung über die Umweltverträglichkeit des Vorhabens bekannt geben. Darüber kommt es im Oktober 2019 zur mündlichen Verhandlung in Tirol, wo die beteiligten Naturschutzverbände erneut Stellung beziehen werden. Im Idealfall kann dann im März 2020 mit einem Urteil gerechnet werden. Die alpinen Vereine werden dieses Verfahren dauerhaft begleiten und für den Erhalt der Geländekammer kämpfen.
#unserealpen: Kampagne unterstützt die Forderungen
Am 4. Dezember 2018 starteten die Alpenvereine AVS, DAV und ÖAV die gemeinsame Kampagne “Unsere Alpen”. Sie möchten damit in einer breiten Öffentlichkeit deutlich machen, wie einzigartig, vielfältig und wertvoll die Alpen sind – und dass dieser Natur- und Kulturraum massiv bedroht ist. Am Beispiel des geplanten Skigebietszusammenschluss zwischen Pitztal und Ötztal zeigt sich einmal mehr, wie wichtig diese Kampagne ist. Wer die Kampagne unterstützen möchte, kann dies zum Beispiel auf Instagram tun und unter #unserealpen ein Bild sowie seinen Kommentar posten.
Weiterführende Informationen
Detaillierte Hintergrundinfos zum Vorhaben und die Stellungnahme des DAV und ÖAV zum „Zusammenschluss Pitztal – Ötztal“ gibt es hier.