Umweltverbände kritisieren das geplante Kraftwerk Tauernbach-Gruben aus ökologischen, ökonomischen und rechtlichen Gründen.
[Matrei, 25.6.2019] Alpenverein, WWF, der Verein Erholungslandschaft Osttirol und der Umweltdachverband warnen vor enormen ökologischen Schäden und einem erhöhten Gefahrenpotenzial durch das geplante Wasserkraftprojekt Tauernbach-Gruben in Osttirol. Die energiewirtschaftliche Bedeutung ist grundsätzlich zweifelhaft, da das Vorhaben gerade im Winter, wo die meiste Energie gebraucht wird, kaum Leistung erbrächte. Zudem stellt die zunehmende Flussverbauung der Isel-Zubringer eine wachsende Bedrohung für das gesamte Osttiroler Gletscherflusssystem dar. Die Umweltverbände bringen daher Rechtsmittel gegen das Projekt ein.
Nach der Genehmigung für das Kraftwerk Schwarzach und Lesachbach soll mit dem Tauernbach nun auch der Hauptzubringerfluss der geschützten Isel ausgeleitet werden. Bei genauerer Betrachtung des Bescheides stellten der Alpenverein, WWF, der Verein Erholungslandschaft Osttirol (VEO) und der Umweltdachverband allerdings gravierende Ungereimtheiten des geplanten Bauvorhabens fest: Das Projekt schädigt die regionale Wirtschaft, den Tourismus und wertvolle Naturräume, ist stromwirtschaftlich fragwürdig, verstößt gegen europarechtliche Umweltziele und bedeutet ernstzunehmende Gefahrenquellen für Mensch und Natur, etwa durch Muren- und Hangrutschungen.
Im Zentrum der Kritik stehen eine Reihe von unverständlichen Bewertungen im Zuge der Umweltverträglichkeitsprüfung des Vorhabens. Die Ableitung von bis zu 80 Prozent des Wassers soll ohne wesentliche Auswirkungen auf den Naturhaushalt sein. Außerdem werden Auswirkungen auf die Natur, Tourismus und Almwirtschaft als nicht erheblich bewertet und das öffentliche Interesse an der Errichtung soll die vielen Nachteile wettmachen. Der vom Kraftwerksprojekt berührte Bereich des Tauerntales ist zwar nicht unmittelbares Nationalparkgebiet, jedoch ist das gesamte Tauerntal Teil der Nationalparkregion, die von Besucherinnen und Besuchern ganzheitlich erlebt wird und nicht durch künstlich-willkürliche Abgrenzungen zerteilt werden kann.
„Der Tauernbach ist leider kein Einzelfall. Auch an anderen Zubringern zur Isel, wie Schwarzach, Lesachbach und Kalserbach, bedrohen Wasserkraftprojekte den letzten naturnahen Gletscherfluss der Ost-Alpen. Der Hauptfluss steht zwar unter Schutz, jedoch bedeuten die vielen nicht abgestimmten Projekte eine regelrechte Amputation“, erklärt WWF-Gewässerschutzexperte Gerhard Egger. Der WWF Österreich fordert daher eine strategische Prüfung der Wasserkraftnutzung im gesamten Isel-Gebiet. „Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien müssen wir weg von kurzsichtigen Einzelentscheidungen und hin zu einer Gesamtstrategie. Nur so kann gewährleistet werden, dass ein attraktives und intaktes Gewässernetz erhalten bleibt“, sagt Egger. „Intakte dynamische Flüsse, wie die Isel, sind im ganzen Alpenraum eine echte Seltenheit geworden. Charakterarten wie die Tamariske sind effektiv vom Aussterben bedroht und könnten für immer verschwinden. Damit das nicht passiert, müssen wir die letzten Wildflüsse konsequent vor jeglichen Verbauungen schützen.“
Im vielerorts äußerst engen Tauerntal drängen sich bereits die drei großen Stränge Felbertauernstraße, (eine „Lebensader“ Osttirols), die 380 kV-Stromleitung (Versorgung weiter Teile Österreichs) und die transalpine Ölleitung T.A.L. (Versorgung weiter Teile Mitteleuropas) sowie ein Hauptkabel der Telekom. „Ein weiteres großtechnisches Projekt wie dieser Wasserkraftbau kann zusätzliche Gefahren schaffen. Immer wieder finden Hangrutschungen und Murenabgänge statt, 2012 verwüsteten an die dreißig Muren das Tauerntal, 2013 kam es zu einem katastrophalen Felssturz am Felbertauern und 2017 verlegte die gewaltige Petersbach-Mure den Tauernbach, die Felbertauernstraße wurde teilverschüttet, die Trasse der geplanten Druckrohrleitung musste verlegt werden. Es gab keinerlei Vorwarnungen oder Expertenhinweise, dass es zu diesen Ereignissen kommen konnte. Durch die Errichtung des Kraftwerks wären massive Bau- und Erdbewegungsarbeiten nötig, welche das Gefahrenpotenzial nur verstärken dürften“, weiß Dr. Wolfgang Retter vom Verein Erholungslandschaft Osttirol (VEO). Zudem fließen 91% des Tauernbach-Wassers im Sommer ab, der überwiegende Teil davon in den Monaten Juni, Juli und August. Somit kann das Kraftwerk im Winter nur marginal Strom erzeugen, die stromwirtschaftliche Bedeutung muss angezweifelt werden.
„In Zeiten der Klimaerwärmung, die in den Alpen besonders spürbar ist und die Gletscher rasant abschmelzen, wird das Wasser immer kostbarer. Umso unverständlicher ist es, wenn die Wassernutzung und die Wasserrechte am Tauernbach für 80 (!) Jahre an die Tiwag vergeben werden sollten. Wasser ist öffentliches Gut und es soll auch in fünfzig Jahren noch für alle zur Verfügung stehen“, betont Anna-Maria Kerber vom VEO.
„Es ist eine Zumutung, ein Kraftwerk, welches aus winterlichem Wassermangel gerade in der Hochbedarfszeit tage- und wochenlang stillsteht, als ‚versorgungssicher‘ und ‚im öffentlichen Interesse‘ zu argumentieren und seine Errichtung mit Horrorzahlen an sonst entstehenden Emissionen zu rechtfertigen“, so Reinhold Bacher, Naturschutzreferent des Alpenverein Matrei in Osttirol. Und resümiert: „Wir halten fest, dass wir das beschriebene Wasserkraftwerk-Projekt als ökologisch falsch, absolut unwirtschaftlich und EU-rechtswidrig ansehen. Es kann zu einer Gefahr für die Region und weit darüber hinaus werden. Wir fordern das Ende solcher Kraftwerksbauten in Osttirol. Auch dem Verein Erholungslandschaft Osttirol ist es ein Anliegen, nicht nur die Erholungseignung unseres Bezirkes zu erhalten, sondern auch die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Schaden von Betrieben und der Bevölkerung abzuhalten.“
„Der Tauernbach wurde durch die bis dato erfolgten Regulierungen, Einengungen und Begradigungen bereits massiv in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Würde der Tauernbach durch eine Realisierung des Kraftwerksvorhabens noch weiter angegriffen, steht dies in krassem Widerspruch zu den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie. Das Vorhaben verstößt gegen europäisches Recht und konterkariert europarechtliche Umweltziele“, erklärt Paul Kuncio, Umweltrechtsexperte des Umweltdachverbandes. Die Wasserrahmenrichtlinie hat u. a. zum Ziel, dass sämtliche Oberflächengewässer in einen zumindest guten ökologischen und guten chemischen Zustand gebracht bzw. in einem solchen erhalten werden müssen. Dies beinhaltet, dass Gewässer, die sich nicht im Zielzustand befinden, bis spätestens 2027 mithilfe zielgerichteter Maßnahmen verbessert werden (Verbesserungsgebot). Gleichermaßen darf der bestehende Zustand grundsätzlich nicht weiter verschlechtert werden (Verschlechterungsverbot). „Ein Vorhaben wie das geplante Wasserkraftwerk würde für den Tauernbach jedenfalls massive Verschlechterungen bringen und ist daher strikt abzulehnen“, so Kuncio.
Das Wasserkraftprojekt Tauernbach-Gruben liegt im Tauerntal in Osttirol. Geplant ist die Entnahme von bis zu neun Kubikmetern pro Sekunde. Die Restwasserstrecke ist rund 9 km lang. Geplant ist die Ausleitung des Tauernbaches bei den Schildalmen, ein Druckstollen (Länge: 2,37 km) mit anschließender Druckrohrleitung (Länge: 6,155 km). Diese Druckrohrleitung führt durch Wildbachstriche und Lawinengebiete, sie kreuzt zweimal die T.A.L (transalpine Ölleitung) in einem Abstand von „mindestens einem Meter“ und soll in ihrem dritten Abschnitt „Großteils in der Felbertauernstraße“ zu liegen kommen – laut Plan und Beschreibung über 700 Meter. Das Krafthaus soll unmittelbar unterhalb („direkt südlich“) der Pumpstation der Transalpinen Ölleitung errichtet werden (Seveso-III-Gebiet, also ein Gebiet mit gefährlichen Stoffen).Der Tauernbach ist ein großer Seitenbach, der in Matrei in die Isel mündet. Wie auch die Isel ist der Tauernbach stark von den Gletschern im Einzugsgebiet geprägt.
Unterstützt werden die Forderungen auch von der Kampagne #UNSEREALPEN des Österreichischen Alpenverein, des Deutschen Alpenvereins und des Alpenverein Südtirols.