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Berge, natürlich!

Klar, es wird viel geschimpft über den Alpentourismus: zu viele Pisten, zu lange Staus, zu wenig Nachhaltigkeit. Aber es geht auch anders.

Watzmanns Glück

Im Grunde sind Nationalparks ein Armutszeugnis für den Menschen. Liefern sie doch den Beweis dafür, dass es offenbar gesetzlich verankerte Stoppschilder gegen den Erschließungsdrang braucht: Halt! Hier kommt die Natur zu ihrem Recht! Genau deshalb sind Nationalparks aber gleichzeitig großartige Einrichtungen. Denn sie sind auch Ausdruck der Erkenntnis, dass die Natur einen unschätzbaren Wert besitzt und als wertvoller Erholungsraum dienen kann – vor allem dann, wenn es so gut funktioniert wie im Nationalpark Berchtesgaden. Der hat letztlich alles, was der Bergler braucht: Es gibt Almen, die manchmal jedem und häufig keinem Klischee entsprechen, steile Anstiege, die so einsam sein können, dass sie selbst dem misanthropischsten Misanthropen gefallen, und spezielle Charaktere, die Hacklschorsch oder Huberbuam heißen. Kein Hacklschorsch und erst recht kein Huberbua dürfte heute dem Umstand eine Träne nachweinen, dass spätestens die Gründung des Nationalparks 1978 sämtliche Pläne für den Bau einer Seilbahn auf den im Wortsinne sagenhaften Watzmann vereitelte.

Zugleich steht die Nationalpark-Region für eine beispielhafte Verzahnung mit anderen naturnahen Initiativen. So wurde die Nationalpark-Gemeinde Ramsau 2015 zum ersten Bergsteigerdorf Deutschlands ernannt, der Ort Berchtesgaden ist Mitglied der Alpine Pearls; und beschilderte, birkhuhnschonende Skitouren kommen erst recht nicht zu kurz. Es gibt Adlerbeobachtungen und Blütenwanderungen, Hirschfütterungen und Kreuzotteralmen. Und wer einmal mit dem Boot zur Wallfahrtskapelle Sankt Bartholomä gefahren ist, der weiß, wie schön es ist, sie gesehen zu haben. Um dann vor den dortigen Massen zu flüchten, hinauf in die Berge, zur abgelegenen Wasseralm oder zum extrem beliebten Kärlinger Haus – das natürlich das Umweltgütesiegel trägt.

www.berchtesgaden.de/nationalpark

Dörfer der Berge

Peter Haßlacher hat einmal feststellen müssen, „wie wenige große, schöne Geschichten man in so vielen Jahren durchbringt. Gerade im Umweltschutz.“ Peter Haßlacher weiß, wovon er spricht; er leitete mehr als drei Jahrzehnte die Fachabteilung Raumplanung und Naturschutz im Österreichischen Alpenverein. Die auf seine Initiative und nach einem Konzept von Roland Kals gegründeten Bergsteigerdörfer jedenfalls sind eine große, schöne Geschichte.

Schön ist die Geschichte deshalb, weil sich das Projekt seit der Unterzeichnung der Bergsteigerdörfer-Deklaration im Jahr 2008 immer mehr als tragfähiger Gegenentwurf zum oft rekordgetriebenen Massentourismus entpuppt. Statt Kapazitätssteigerung und Schneesicherheit haben sich die Mitglieder einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Alpenkonvention verschrieben – wie etwa Vent im hinteren Ötztal. Die ursprüngliche, nicht einmal 200 Einwohner zählende Ortschaft steht aber nicht nur für dauerhaften Naturschutz, eine maßvolle Landwirtschaft und die Wahrung von immateriellem Kulturerbe wie den berühmt gewordenen, grenzübergreifenden Schaftrieb. Sie verfügt auch über ein breites Angebot, das insbesondere Bergsteiger und Wanderer anspricht – und schon von Tourismuspionier Franz Senn erkannt wurde. Steinbock und Steilwand ersetzen Alpine Coaster und Großraumgondel als Attraktion; in den Unterkünften geht es um Charme statt um jede Menge Betten. Wertschöpfung durch Wertschätzung.

Groß ist die Geschichte wiederum, weil sich die Bergsteigerdörfer immer mehr zu einem grenzübergreifenden, alpenweiten Netzwerk entwickeln – ohne dabei auszuufern. Gerade 2018 war diesbezüglich ein extrem spannendes Jahr. So wurde im Mai mit Jezersko der erste slowenische Ort in das Projekt aufgenommen; im Juli schloss sich mit Kreuth das mittlerweile vierte deutsche Mitglied dem Klub der nachhaltigen Alpendörfer an; ehe im August mit Lungiarü der zweite Südtiroler Vertreter folgte. Und seit Oktober ist auch der italienische Alpenverein CAI mit dem Val di Zoldo vertreten. So sehr sich ÖAV-Präsident Andreas Ermacora darüber freut, so zeigt er sich doch wenig überrascht: „Für mich sind die Bergsteigerdörfer schon immer eine internationale Angelegenheit gewesen. Ich bin mir sicher, dass es sie eines Tages alpenweit geben wird.“

www.bergsteigerdoerfer.org

Lenken und leben lassen

Auch der Bergsportler ist nicht zwangsläufig ein besserer Mensch. Nehmen wir als Beispiel den Skitourengeher. Der steigt seit einigen Jahren auch gerne die Skipisten bergauf. Tut er das nicht, fährt er in die Seitentäler. Dort stattet er dem fröstelnden Birkhuhn und dessen Artverwandten einen Besuch ab, was diese nicht wirklich begeistert.

Nun könnte man sagen: Was interessiert mich das Birkhuhn? Oder man sucht nach Lösungen – wie es beispielsweise die Kampagne „Dein Freiraum, mein Lebensraum“ im Naturpark Nagelfluhkette, Allgäu, tut. Statt auf Betretungsverbote wird dort sommers wie winters auf Lenkungsmaßnahmen gesetzt, ob beim Mountainbiken, Klettern oder Schneeschuhgehen, ob zum Schutz des Birkhuhns, des Sonnentaus oder um einfach generell ein Nebeneinander von Mensch und Tier in besonders sensiblen Lebensräumen zu ermöglichen. Das Markieren von Wegen ist da nur ein erster Schritt. Ebenso wichtig ist das Informieren, Sensibilisieren und eine möglichst breite Akzeptanz. Deshalb wurden frühzeitig alle relevanten Interessensgruppen als Partner eingebunden, ob Grundbesitzer, Jäger, Gemeinden oder Naturschützer. Die Kampagne blickt aber auch über den Rand des Naturparks hinaus. Sie integriert andere Maßnahmen der Besucherlenkung wie „Respektiere deine Grenzen“ in Vorarlberg oder „Natürlich auf Tour“, die Initiative für umweltverträgliches Skibergsteigen des Deutschen Alpenvereins. Im Rahmen der letzteren wurden rund 500 Skirouten an 180 Skibergen im bayerischen Alpenraum auf Naturverträglichkeit geprüft.

Dabei kann Besucherlenkung gerade beim Skitourengehen manchmal ganz einfach sein. So meinte Manfred Scheuermann, Projektleiter der Kampagne „Natürlich auf Tour“ beim Deutschen Alpenverein, einmal: „Wichtig ist, dass die Einheimischen gut informiert sind und eine erste Spur legen.“ Der Rest nimmt die Vorarbeit des Wegbereiters dann gerne an.

www.freiraum-lebensraum.info
www.alpenverein.de/natuerlich-auf-tour

Alpine Perlenkette

Zum Beispiel Werfenweng. Wer als Gast mit Bahn oder Bus in die rund 1.000 Einwohner zählende Gemeinde im Salzburger Land anreist, kann das Werfenweng-Shuttle kostenlos für die Fahrten zum Bahnhof und während des gesamten Urlaubs nutzen. In einem entsprechenden Partnerbetrieb hat er dann – wie sämtliche Autofahrer, die den Autoschlüssel während ihres Aufenthalts im Tourismusverband hinterlegen – Anspruch auf die samoCard. Samo steht für sanfte Mobilität. Die Karte berechtigt unter anderem zur kostenlosen Leihe von E-Bikes und Fun-Fahrzeugen. Gegen eine symbolische Gebühr von zehn Euro.

Werfenweng ist Mitglied der Alpine Pearls, eines Verbundes von 25 Gemeinden aus sechs Ländern, die der Umwelt mit ihren Mobilitätskonzepten tatsächlich etwas Gutes tun wollen. Hat sich doch längst die Ansicht durchgesetzt, dass sich der Freizeitverkehr zu einem der größten Probleme im Alpenraum entwickelt hat. Zwar sind die wenigsten Länder so weit wie beispielsweise die Schweiz, deren engmaschiges Schienen- und Postbusnetz noch die letzte Einöde bedient oder in der sich auch namhafte Bergorte wie Zermatt, Mürren oder Bettmeralp sehr erfolgreich als autofreie Ferienorte positionieren. Aber immerhin ist mittlerweile immer häufiger ein Umdenken zu spüren, das sich nicht nur auf einige Perlen der Alpen beschränkt. Die Alpenvereine fördern mit Initiativen wie „Du willst raus? Steig ein!“ in Deutschland, „Wandern ohne Auto“ in Südtirol oder „Mit Bus und Bahn zu den Alpenvereinshütten“ in Österreich offensiv die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Berge. Die Gemeinde Kreuth hat als Bergsteigerdorf die Verbindung in umliegende Orte mit einem Berg-steigerbus ausgebaut, und in Südtirol ist es längst Usus, die öffentlichen Verkehrsmittel mit einer Gästekarte gratis nutzen zu dürfen.

Auch einige Skigebiete erkennen, dass es mit Parkplätzen alleine nicht mehr getan ist. Im Garmischer Ski-Ticket ist die Zuganfahrt ab München Hauptbahnhof für einen Aufpreis von wenigen Euro eingeschlossen. Die Österreichischen Bundesbahnen bieten „Kombitickets Wintersport“ an. Diese sind zu speziellen Preisen und Bedingungen erhältlich und berechtigen zur An- und Abreise in ausgewählte Skigebiete – Gutschein für einen Tages-Skipass inkludiert.

www.alpine-pearls.com
www.auto-frei.ch
www.alpenverein.de/bergsteigerbus

So schmeckt Umweltschutz

Die Schlernbödelehütte gehört zu jenen Hütten, die einfach schon zu schön sind, um kitschig zu sein. Holzfassade, Schindeldach, Steinkamin, davor Holzbänke und Sonnenliegen. Noch dazu liegt sie im Westen der Seiser Alm zu Füßen des ebenfalls grenzkitschigen Symbolbergs namens Schlern, nicht direkt in der Schneise der Südtiroler Urlauberströme, aber eben auch für den Gelegenheitswanderer noch gut erreichbar. Was man nicht auf den ersten Blick erkennt, ist die Tatsache, dass die Schlernbödelehütte das Umweltgütesiegel der Alpenvereine trägt. Die Hüttenwirtin Verena Wolf will kein großes Aufheben darum machen: „Wir haben uns einfach entschieden, dass bei uns gewisse Sachen keinen Platz finden.“ Das sei eine Frage der Philosophie.

Dabei ist das Umweltgütesiegel, das immerhin 120 der insgesamt 571 Hütten von DAV, ÖAV und AVS besitzen, keine Selbstverständlichkeit. Elf DIN-A4-Seiten umfasst der Kriterienkatalog. Er enthält zum einen Fragen, die rein bauliche Maßnahmen betreffen wie die Energieerzeugung, die Wärmedämmung oder das Abwassermanagement. Darüber hinaus gibt es jedoch etliche Punkte, die in der Hand des Hüttenwirts liegen. „Ohne den geht es nicht“, meint Xaver Wankerl, der beim DAV für Hüttenbau und -technik zuständig ist. Sobald der Pächter wechselt, kommt das ohnehin nur für eine Dauer von fünf Jahren verliehene Siegel noch einmal auf den Prüfstand. Allerdings lege man bei der Auswahl der Wirtsleute laut Wankerl schon Wert darauf, dass diese die richtige Einstellung mitbringen.

Seit 2018 wird diese vom Deutschen Alpenverein auf Antrag mit 1.000 Euro belohnt. Viele Maßnahmen wie die richtige Abfalltrennung oder das biologisch abbaubare Putzmittel sind schließlich mit Mehrkosten und -aufwand verbunden. Das gilt auch für die Lebensmittel, die aus regionaler und nachhaltiger Produktion stammen müssen. Bei Verena Wolf auf der Schlernbödelehütte kommt beispielsweise das Fleisch vom Metzger aus Seis, das Gemüse vom Bauern aus Kastelruth und selbst der Fairtrade-Kaffee von einer Völser Rösterei. Womit sie sich gleichzeitig für eine andere Alpenvereins-Initiative qualifiziert: So schmecken die Berge.

www.schlernboedelehuette.com